Stan Sakai über Kurtisanen

 

Die jährliche Prozession einer Kurtisane war im Japan der Edo-Zeit ein gesellschaftliches Großereignis. Die oiran zeigte sich mit ihrem Gefolge und in ihren teuersten Gewändern in der Öffentlichkeit. Sie ging auf schwarzlackierten Holzschuhen mit knapp 30 Zentimeter hohen Sohlen, die „mitsuba no kuronuri geta“ genannt wurden. Ihre Roben waren so ausladend (und, nebenbei, bis zu 20 Kilo schwer), dass die oiran von einem oder zwei männlichen Bordellbediensteten geleitet werden musste, den wakaimono, auf deren Schultern sie sich bei Bedarf abstützen konnte. Damit sie überhaupt gehen konnte, wurden die Röcke und Kimono der oiran ein wenig hochgegürtet, so dass aufmerksame Beobachter einen Blick auf ihre nackten, weißen Füße erhaschen konnten. Gefaltetes Papier lugte aus ihrem Brustausschnitt, quasi eine Art Taschentuch und als wichtiges „Handwerkszeug“ der Prostituierten eines ihrer Erkennungszeichen. J.E. de Becker schreibt 1899 in The Nightless City or the History of the Yoshiwara Yūkwaku: „Die Ansicht einer zauberhaft-verführerischen yūjo in ihren reichen Brokatgewändern, durchwirkt mit Goldfäden und gewebt aus vielfarbig schimmernder Seide, mit ihrer pyramidal aufgetürmten Frisur, geschmückt mit unzähligen Haarnadeln aus Schildpatt und Koralle, die so eng aneinandergesteckt waren, dass sie die Vorstellung einer strahlenden Gloriole erweckten, die ihren Kopf umschloss, und ihre elegant-stattlichen Bewegungen, wenn sie majestätisch und gemessenen Schritts durch die Naka-no-chō zu gleiten schien – all das muss in der Tat einen überwältigenden Eindruck gemacht und dem Uneingeweihten Ehrfurcht eingeflößt haben.“ Die Naka-no-chō war die von Kirschbäumen gesäumte Hauptstraße im Yoshiwara Yūkaku (heutzutage ohne das „w“ geschrieben, das de Becker noch verwendet).

 

Die oiran war eine Kurtisane von höchstem Ansehen. Die Phrase, von der der Begriff abgeleitet sein soll, oira no anesan („meine ältere Schwester“), ist als eine Respektsbezeugung aufzufassen, wie sie im Yoshiwara Yūkaku, dem offiziellen „Rotlicht“- und Vergnügungsviertel Edos, üblich gewesen sein soll.

 

Die oiran sollte nicht mit der geisha („Person der Künste“) verwechselt werden. Geisha waren Frauen, die in Konversation und traditionellem Tanz ausgebildet waren, singen konnten und verschiedene Instrumente beherrschten. Geisha gibt es heute noch – im Gegensatz zu den oiran, die wir nur noch in Historienfilmen und auf Holzschnitten betrachten können.

 

Es gibt allerdings immer noch Prozessionen. Normalerweise an jedem dritten Sonntag im April findet in Nishikanbara (Präfektur Niigata) die Bunsui Oiran Dōchū statt. Das Senteisai Matsuri in Shimonoseki (Präfektur Yamaguchi) reicht bis in Zeiten zurück, in denen verwitwete Hofdamen, deren Männer im Krieg gefallen waren, sich als Kurtisanen verdingen mussten. Um ihre Anteilnahme am Schicksal der Witwen zu zeigen und sie zu ehren, kleiden sich Frauen bis heute in zeremonielle Gewänder.