Stan Sakai über Go

 

In Japan wird das Brettspiel go mit dem mythischen chinesischen Kaiser Shun (2255-2206 v.u.Z.) in Verbindung gebracht. Der Legende nach soll das Spiel erfunden worden sein, um den schwachen Verstand seines Sohnes Shang Kiun zu stärken. Das Spiel soll im Gepäck des Gesandten Kibi Daijin, eigentlich Kibi no Makibi (695-775), um das Jahr 735 u.Z. nach Japan gelangt sein. Es verbreitete sich in der Kriegerkaste, bis es im 13. Jahrhundert schließlich von jedermann gespielt wurde, vom Fußsoldaten bis zum General und Feldherrn. Go-Bretter wurden auf Feldzügen mitgeführt und abends, nachdem die Schlachten auf dem Schlachtfeld geschlagen waren, kehrten die Krieger in ihre Feldlager zurück, um noch ein paar Schlachten anderer Art zu führen. Alle drei großen Feldherrn der ausgehenden Sengoku-Zeit, Oda Nobunaga (1534-1582), Toyotomi Hideyoshi (1537-1598) und Tokugawa Ieyasu (1543-1616), waren Liebhaber des go-Spiels. Private und staatliche go-Akademien wurden gegründet und die Großmeister des Spiels kamen einmal im Jahr aus dem ganzen Land zusammen, um vor den Augen des Shoguns gegeneinander anzutreten. Diese rituellen „Kämpfe“ wurden „go zen go“ („das Spiel in der erlauchten Anwesenheit spielen“) oder „o shiro go“ („das Spiel im ehrenwerten Palast spielen“) genannt und der Brauch endete erst mit dem Untergang des Shogunats im Jahr 1868.

 

Go wird gelegentlich mit dem Schachspiel verglichen. Während es beim Schach aber darum geht, eine einzelne Schlacht zu gewinnen, repräsentiert go einen ganzen Feldzug. Der Verlust einer Schlacht in einer Ecke des Bretts bedeutet nicht, dass am Ende die Partie verloren geht. Der ins Hintertreffen geratene Spieler kann sich einem anderen Teil des Bretts zuwenden und sich dort den entscheidenden Vorteil sichern. „Schlachten“ werden gleichzeitig an mehreren Stellen des Bretts ausgefochten, indem gegnerische Stellungen belagert und Armeen von der Hauptstreitmacht abgeschnitten und gefangen genommen werden, die sich beim Versuch, ein möglichst großes Territorium einzunehmen, zu weit in ungesichertes Gebiet vorgewagt haben. Eine Partie dauert in der Regel ein bis zwei Stunden. Eine Meisterschaft kann aber, wie beim Schach, über viele Tage hinweg ausgespielt werden. Die längste go-Partie überhaupt soll sich über neun Tage hingezogen haben. Es heißt, ein Spieler müsse zehntausend Partien gespielt haben, um den untersten Profi-Rang zu erreichen. Wer jeden Tag eine Partie spielte, würde also nach 27 Jahren so weit sein.

 

Das Spielbrett heißt go-ban und ist ein solider Block [oder ein würfelförmiger Tisch] aus gelblichem Holz. Die Füßchen sind in Form einer Gardenien-Frucht von der Art kuchinashi oder Gardenia jasminoides geschnitzt – angeblich, weil dies die Zuschauer davon abhält, die Spieler mit Kommentaren zu belästigen („kuchinashi“ bedeutet „mundlos“). Das eigentliche Brett besteht aus einem Gitter aus feinen, schwarzen Linien, neunzehn längs und neunzehn quer, die das Brett in kleine Quadrate unterteilen. Die Kreuzungspunkte der Linien heißen „moku“ („Gebietspunkt“) oder „me“ („Auge“ – immer dann, wenn sie von Spielsteinen umgeben sind). Die ellipsoid geschliffenen Spielsteine („go-ishi“, „go-Stein“) werden abwechselnd auf dem Brett abgelegt. Die Steine werden aus hölzernen Töpfchen („go-tsubo“) oder Döschen („go-ke“) genommen und so mit den Spitzen von Mittel- und Zeigefinger auf das Brett gesetzt, dass das charakteristische, heitere „Klack!“ ertönt.

 

Die Partie endet, wenn beide „Armeen“ nicht weiter vorrücken können. Dazu muss beileibe nicht das ganze Brett von Steinen bedeckt sein.